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Adelheid Krah: Freisinger Besitz in Niederösterreich zwischen Bischofsherrschaft, Herzögen von Österreich und der böhmischen Krone*

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*Eine ausführliche Version des Textes wird für den Druck derzeit vorbereitet.

Durch die Digitalisierung einiger Freisinger Amtsbücher im Projekt „Freisinger Handschriften“ der Bayerischen Landesbibliothek Online in Kooperation mit dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv München und dem IOeG wurde für die Geschichtswissenschaft der Tresor geöffnet, der die Kernstücke der mittelalterlichen Verwaltungstätigkeit des Hochstifts Freising birgt mit Amtsbüchern, die ehemals im Bestand der Dombibliothek des Hochstifts Freising aufbewahrt wurden. Denn anders als bei den herkömmlichen Editionen der Dokumente zur Freisinger Besitzgeschichte von Meichelbeck, Bitterauf oder Zahn überliefern die Digitalisate die originale Reihung der Dokumente, die Arbeitsweise der Schreiber, die Spuren der Benutzer und die Ordnung der bischöflichen Kanzlei, kurz einen Mehrwert an mittelalterlicher Geschichte.

Die Digitalisate der Freisinger Amtsbücher, die im Projekt derzeit sukzessiv wissenschaftlich erschlossen werden, stellen ferner primär den archivalischen Quellentypus dar und ermöglichen medial-fiktiv die Arbeit an den Originalen.

Die mittelalterlichen Amtsbücher des Hochstifts Freising vom 9.-15. Jahrhundert sind überwiegend Kopialbücher, deren Anlage nach unterschiedlichen, zweckorientierten Ordnungsvorstellungen des bischöflichen Kanzleibetriebs erfolgte, der in der genannten Zeitspanne sehr unterschiedlich ablief. Die Eigenart des Quellentyps „Freisinger Amtsbücher“ liegt also in der Sortierung und Vernetzung kopierter Urkundentexte, Notizen und Ergänzungen über den Erwerb von Besitzungen und Rechten sowie der hierdurch entstandenen Textstrukturen. Mit der Digitalisierung der Amtsbücher sind daher auch die Intention der kopialen Verschriftlichung der Einzeldokumente im veränderten Kontext und die Kanzleiarbeit des geistlichen Zentrums nachvollziehbar geworden.

War der Fokus bei der Arbeit früher an den kostbaren Originalen der Amtsbücher überwiegend auf die Überlieferung des Inhalts wichtiger Einzeltexte und auf die Kodikologie der Handschriften gerichtet, so kann jetzt durch die Bereitstellung der Digitalisate eine vertiefte Arbeitsweise ohne zeitliche und räumliche Begrenzung beginnen, die die Erforschung der Textstrukturen der Kopialbücher im Detail besser erlaubt.

Dabei wird auch sehr deutlich, dass die repräsentative chronologische Reihung der Dokumente in den Kopialbüchern, die fast immer auf die Hierarchie der Freisinger Bischöfe und ihre Amtszeiten abzielte, oft noch anderen Vorgaben und Möglichkeiten der Textanordnung gefolgt ist, die auf interne Kanzleigepflogenheiten schließen lassen.

Ein Anlass dafür war meistens durch die aktuelle Sachlage gegeben, die die Verschriftlichung mehrerer im bischöflichen Archiv im Kontext aufbewahrter Dokumente erforderlich werden ließ. Nicht selten ging es dabei um einen über Jahre und Jahrzehnte hartnäckig verfolgten Erwerb von Besitzungen und Rechten und den sukzessiven Aufbau flächendeckender Herrschaft in Siedlungskammern und privilegierten Siedlungsräume. Solche faszikelartigen Textbündel bilden in additiver Reihung die Feinstruktur für einige Freisinger Amts- und Kopialbücher. Sie haben das Format von handlichen Kompendien, in denen Besitzstand, Herrschaft über Land und Leute auch in Form von Rechnungslegungen, bald auch regional nach Ämtern geordnet verzeichnet sind.

Der weit reichende Streubesitz des Hochstifts – etwa im Pustertal im heutigen Südtirol, oder entlang der Donau im heutigen Niederösterreich bis ins Wiener Becken oder in der Krain mit dem Zentrum des heute slowenischen Skofia Loka – stellt eine Besonderheit der Organisation und Verwaltung der Freisinger Besitzungen dar, die nun seit einigen Generationen in internationaler Zusammenarbeit mit der slowenischen Regionalgeschichte von der bayerischen Landesgeschichte aber auch von Historiker in Niederösterreich erforscht wird.

So wurde erkannt, dass die Migration von Verwaltungspersonal von Bayern in die Krain aber auch in umgekehrter Richtung eine Folge dieser Streubesitzungen war und dass für die Identität der Menschen ihre Zugehörigkeit zur geistlichen Herrschaft des Bistums Freising eine wichtige Rolle spielte, was wiederum dazu beitrug, dass dem Bistum der Fernbesitz im Mittelalter erhalten blieb. Man denke nur an die Bereitstellung von Truppen und Kämpfern durch den Freisinger Bischof, wenn der König zu einem Kriegs- oder Kreuzzug aufbrach, oder an migrierende Siedler und das erwähnte Verwaltungspersonal zur Bewirtschaftung des Fernbesitzes.

Ich möchte heute über das sogenannte Jüngere Kopialbuch der Freisinger Besitzungen in Niederösterreich sprechen, das dem Codex Hochstift Litteralien Freising 4 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv als letzter Teil beigebunden ist (fol. 60-68´). Es umfasst insgesamt 23 Dokumente und wurde einheitlich von einer Hand gegen Ende des 13. Jahrhunderts geschrieben.

Das Kopialbuch beginnt mit einem für den Fernbesitz des Hochstifts traditionellen, repräsentativen Text, nämlich der Schenkungsurkunde Kaiser Heinrichs II. vom 14. November 1021 (fol. 60) für das Kloster des heiligen Stephan, das gegenüber dem Domberg in Freising liegt und von dem berühmten Freisinger Bischof Egilbert (1006-1039) reformiert und neu gegründet worden war. Diese Schenkung betrifft die für den Donauhandel und die Route Richtung Ungarn wichtige Überquerung der Donau östlich von Wien bei der Donauinselgruppe Sachsengang – gelegen beim heutigen Groß-Enzersdorf nordöstlich von Wien. Hiervon erhielt nun das Eigenkloster des Bischofs einen Teil als Besitz zugewiesen.

Das Kopialbuch endet mit der in Wien ausgefertigten Urkunde vom 21. Mai 1277, die König Rudolfs I. für Bischof Konrad II. von Freising ausstellen ließ (fol. 67´-68) und in der er im Wesentlichen die umfangreiche Schenkung von Marchfutter, Landgerichtsbarkeit und Burgwerk auf den Dominikalgütern der freisingischen Ämter Enzersdorf, Ollern, Hollenburg und Ebersdorf  Kaiser Friedrich Barbarossas an Bischof Otto II. von Freising vom 18. Mai 1189 bestätigte. Bemerkenswert ist die Reihung der freisingischen Ämter nach dem Transportweg der Einnahmen entlang der Donau und von Ost nach West.

Das jüngste Dokument der Sammlung ist allerdings eine wirtschaftliche Transaktion zwischen dem Freisinger Bischof Friedrich von Montalban (heute in Südtirol) und dem Zisterzienserstift Lilienfeld, nordwestlich von Wien, die am 20. Mai 1281 in Wien beurkundet wurde (fol. 67-67´). Diese Urkunde lässt auf den ersten Blick keinen unmittelbaren besitzgeschichtlichen Zusammenhang mit anderen Dokumenten der Sammlung erkennen, obgleich damals der Zugriff des Freisinger Bischofs auf Stiftungsgut der Zisterze durch Vergleich abgewendet werden konnte und Bischof Friedrich nur kurze Zeit regierte (1279-1282) und im Jahr darauf verstarb. Die Anwesenheit von vier Freisinger Pröbsten am 20. Mai 1281 in Wien – unter anderen von den Freisinger Ämtern Ardagger (heute PB Amstetten) und Innichen – und einiger Amtsleute aus Enzersdorf – Pfarrer und Richter – lässt jedoch die Absicht Bischof Friedrichs vermuten, das Gebiet des Freisinger Amtes Enzersdorf auch unter dem Habsburgerkönig zu vergrößern. Die Originalurkunde der siegreichen Zisterze wird im Übrigen noch heute im Archiv des Stiftes Lilienfeld aufbewahrt.

Spannend erscheint mir, dass der Freisinger Kopist das jüngste Dokument seiner Sammlung, das eine Niederlage seines Bischofs gegen die damals anwesenden Zisterzienseräbte und ein Rückzugsgefecht von früheren Machtambitionen dokumentiert, nicht zuletzt kopierte und ans Ende seiner Sammlung stellte, was chronologisch richtig gewesen wäre. Am Ende sollte offensichtlich nach dem Prinzip von Alpha und Omega keine Niederlage sondern ein der ersten Urkunde von 1021 gleichwertiges Dokument das anhaltende, wirtschaftliche Erfolgsprogramm des Bistums Freising dokumentieren: Der Kopist beginnt also mit einer Kaiserurkunde Heinrichs II. von 1021 über die Schenkung der Insel Sachsengang, somit zu den Anfängen des Freisinger Amtes Enzersdorf, und lässt die Sammlung mit der Bestätigung des umfangreichen Privilegs Kaiser Friedrich Barbarossas von 1189 durch König Rudolf I.  vom Mai 1277 enden. – Diesen Eckdaten könnten der Versuch sein, die Geschichte des wirtschaftlichen Erfolgs des Bistums Freising in seinen Ämtern an der Donau, insbesondere im Amt Enzersdorf im Kopialbuch in besonderer Weise herauszustellen.

Der Kopist entpuppt sich dadurch als Zeitgenosse Bischof Friedrichs von Freising und war vermutlich Mitglied der bischöflichen Kanzlei. Er dürfte das kleine Kopialbuch nach dem 20. Mai 1281, der Datierung des jüngsten Dokuments der Sammlung, verfasst haben. Möglich ist, dass ihn Bischof Friedrich nach seiner Niederlage gegen die Zisterzienser damit beauftragt hatte, einige der aus damaliger Sicht wichtigsten Dokumente zur freisingischen  Herrschaft im Amt Enzersdorf vorsorglich in einem handlichen Libell zusammenzustellen. Diese Vermutung könnte der Inhalt der weiteren Dokumente der Sammlung bestätigen.

Im Folgenden werde ich kurz die weiteren Texte besprechen. Am Beginn steht nicht nur die schon erwähnte Schenkung der Insel Sachsengang an das bischöfliche Kloster Weihenstephan, das bis zur Säkularisation von 1803 bestand; die Sammlung beginnt vielmehr gleich mit drei Herrscherurkunden, die zwei Punkte betreffend:

zum einen, die große Zeit des Bistums Freising am Beginn des 11. Jahrhunderts durch den berühmten Amtsinhaber Bischof Egilbert mit dem bereits erwähnten ältesten Dokument, zum anderen mit der Übertragung der aufgelassenen, babenbergischen Reichsrechte an Bischof Otto II. durch Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahr 1189 in den vier Freisinger Ämtern an der Donau .

Damit jedoch die altehrwürdige Autorität des Bistums Freising im Fernbesitz in Niederösterreich, in den in beharrlicher Siedlungsarbeit seit mehr als 250 Jahren aufgebauten, einträglichen Ämtern entlang der Donau, Enzersdorf, Ollern, Hollenburg und Ebersdorf, allen Personen, denen man das Kompendium vorzulegen gedachte, unübersehbar und nachhaltig ins Auge stach, wurde kräftig übertrieben und die Unkundigkeit der lateinischen Sprache mancher Amtspersonen dabei einkalkuliert: Denn auf die Kaiserurkunde Heinrichs II. von 1021 folgt eine Königsurkunde Konrads II. von 1025 (fol. 60-60`), also aus seinem ersten Königsjahr, ebenfalls für Bischof Egilbert von Freising ausgestellt, aber in der Sammlung inhaltlich völlig falsch am Platz. Konrad hatte damals in dieser Urkunde dem mächtigen und seinem Vorgänger überaus nahe stehenden Freisinger Bischof seine Huldigung mit einer Schenkung von fünf kleinen Gütern entgelten müssen, die freilich alle nördlich von Regensburg lagen (!) und mit dem erwähnten Fernbesitz des Bistums gar nichts zu tun haben.  – Es ist zu vermuten, dass diese Urkunde als zweites Dokument nur deshalb in die Sammlung kopiert wurde, um die Autorität Bischof Egilberts, der auch für Konrad II. und dessen Sohn Heinrich noch ein wichtiger Berater werden sollte, herauszustellen. – Oder könnte dem Kopist hier ein Fehler passiert sein?

Als dritte Herrscherurkunde folgt die im zeitlichen Abstand von 164 Jahren erlassene, nur kopial überlieferte Urkunde Kaiser Friedrich Barbarossas vom 18. Mai 1189 (fol. 60´-61), als er auf seinem Kreuzzug ins heilige Land  in Wien Station machte. Sie beinhaltet die Schenkung der vom Babenbergerherzog  Leopold V. und seinem Sohn Friedrich I. aufgelassenen Reichsrechte auf den bischöflichen Dominikalgütern an Bischof Otto II. von Freising und stellt gleichsam die „Gründungsurkunde“ der vier Freisinger Ämter an der Donau dar. Die Euphorie der Kreuzzugsstimmung einerseits und die Sorge um die Wahrung der Reichsrechte andererseits durch die Absenz der österreichischen Ritter, worunter die Verwaltung des Landes litt, bot dem Freisinger Bischof damals die Gelegenheit <in die Bresche zu springen> und dadurch die Position des Hochstifts in den niederösterreichischen Ämtern aufzuwerten.

Um diese Zeit konnte der Freisinger Bischof auch den Zuspruch der lange strittigen Patronatsrechte an der Kapelle in Enzersdorf dem Passauer Bischof Diepold von Berg (1172-1190) abringen, die dessen Verwandter, der Passauer Bischof Manegold von Berg, während seiner Amtszeit zu Beginn des 13. Jahrhunderts im Beisein des Domkapitels bestätigte. Das Original liegt heute im BayHStA München, Hochstift Freising Urk. 42 (Siegel verlustig). Im Jüngeren Kopialbuch bildet die Passauer Bestätigungsurkunde der Patronatsrechte den Mitteltext eines aus sieben Dokumenten bestehenden Vorgangs zur Übernahme der Vogtei in Enzersdorf durch den Babenberger Herzogs Friedrich II.

Diese Übernahme der Vogtei scheint eine zwischen dem Herzog und dem Freisinger Bischof Konrad I. von Tölz abgesprochene Sache gewesen zu sein. Zunächst verpfändete der Herzog dem Freisinger Bischof den Markt Asbach, ein Freisinger Lehen, um 500 Silbermark – 4. Text des Kopialbuchs, Urkunde vom Juli 1236 (fol. 61). Der hierauf folgende 5. Text bringt die Urkunde Herzog Friedrichs II. vom 29. Dezember 1240 in Wien, mit der er in Anwesenheit von Adeligen und Ministerialen aus dem Umland der Stadt sowie aus Bayern bestätigt, dass er durch das Wohlwollen seines Lehnsherrn und Freundes, des Freisinger Bischofs Konrad, die Vogtei in Enzersdorf vom bisherigen Vogt Ulrich von Pillichsdorf übernommen habe, der mit 500 Silbermark abgefunden worden sei (fol. 61-61´).

Es liegt auf der Hand, dass die Pillichsdorfer Ministerialenfamilie, die offensichtlich schon längere Zeit die Vogtei in Enzersdorf ausübte, hier schlicht mit einer Summe Geldes für alle Zeiten abgefertigt wurde. Denn der Babenberger – immer noch hoffnungsfroh auf eventuelle Nachkommen von seiner bayerischen Gemahlin Agnes von Andechs-Meranien – betont, dass er die Vogtei in Enzersdorf für sich und auch für seine zukünftigen Erben übernommen habe. Offensichtlich hatte sich der Freisinger Bischof Konrad von Tölz bei dem Handel einen besseren Schutz des Amtes durch die Autorität des Herzogs als Vogt versprochen, wobei auch geplant war, dass die Pillichsdorfer Ministerialen mit einer geringeren Summe als 500 Silbermark zufrieden sein sollten.

Hiergegen klagte die nächste Generation der Pillichsdorfer im Juni 1262 in Iglau vor König Ottakar II. Přemysl ziemlich erfolglos, denn bekanntlich paktierte damals der Freisinger Bischof Konrad II. mit dem böhmischen König und Erben der österreichischen Länder, um vor allem die geistliche Herrschaft im Fernbesitz in Österreich erneut und mit Hilfe Ottakars auszubauen. Die Klage der Pillichsdorfer Ministerialenfamilie endete daher – im übrigen ist Pillichsdorf heute noch ein Ort in Niederösterreich nordöstlich von Wien – damit, dass der böhmische König der neue Vogt in Enzersdorf in Nachfolge des Babenbergerherzogs nun de iure wurde und die Pillichsdorfer Ministerialenfamilie wenigstens die immer noch ausstehenden, restlichen 200 Silbermark der  im Jahr 1240 urkundlich versprochenen Abfindung von 500 Silbermark erhielten – soweit zum Inhalt der Urkunde Ottokar II. Přemysls von 1262, überliefert als 6. Text des jüngeren Kopialbuchs (fol. 61´-62) und im Original aufbewahrt im BayHstA München, Hochstift Freising Urk. 84 (mit beschädigtem Thronsiegel).

Die Texte 8, 9 und 10 des Jüngeren Kopialbuchs, die zum Vorgang der Übertragung der Vogtei Enzersdorf an den letzten Babenbergerherzog gehören, lassen erkennen, dass Bischof Konrad I. (von Tölz) mit dem Herzog als Vogt kein Glück hatte. Apud Louppe, vielleicht in Laab bei Mödling, 1242 vom 7. November, datieren Notiz und Urkunde in kopialer Abschrift und geben an, dass sich Friedrich II. mit der geringen Jahresgebühr von 30 Wiener Pfennigen aus der Vogtei Enzersdorf begnügen werde.- Hintergrund dürften damals familiäre Schwierigkeiten gewesen sein; Herzog Friedrich II. betrieb die Scheidung von seiner bayerischen Gemahlin – seine zweite Scheidung wegen Kinderlosigkeit – und ein Seitenverwandter, Ulrich von Himberg – der Ort gehört heute zum PB Wien Umgebung – erhob Ansprüche auf die Vogtei in Enzersdorf. Im letzten Stück dieser Vorgangsakte dem 10. Text des Jüngeren Kopialbuchs (fol. 63) , verzichtet Ulrich von Himberg vermutlich anlässlich eines Familientreffens der Babenberger in Hainburg Anfang März 1243 auf die Vogtei Enzersdorf zugunsten Friedrichs II.  – Anwesend waren nicht nur der Freisinger Bischof Konrad I. und sein Verwandter Gebhard von Tölz mit bayerischem Gefolge, sondern auch die Kuenringer und Hardegger Ministerialen, der Landrichter Otto von Maissau, der Kommendator des Deutschen Ordens in Wien, Otto von Seunz, dem im übrigen König Ottokar Přemysl im September 1262 die Restsumme der Abfindung an die Pillichsdorfer anvertraute – der 15. Text des Kopialbuchs  (fol. 64´) -, ferner der herzogliche Mundschenk Heinrich von Hausbach und viele andere Ministeriale, Babenberger und Freisinger Lehensleute.

Mit dem Tod des letzten Babenbergerherzogs Friedrich II. von 1246, dem Tod Kaiser Friedrichs II. und dem Beginn des Interregnums avancierte neben der Ministerialenschicht auch der regionale Adel als Partner der wirtschaftlichen Interessen des Hochstifts. Ich beziehe mich in meiner Argumentation wieder nur auf die weiteren Texte des Jüngeren Kopialbuchs. Ulrich von Spanheim war ab 1246 Herzog von Kärnten und durch seine Ehe mit Agnes von Andechs-Meranien auch Herr in der Krain sowie Freisinger Lehnsmann auf der Burg Strlek in Unterkrain, die er Bischof Konrad 1247 ohne weitere Bedingungen zu anderer Vergabe resignierte – 11. Text (fol. 63-63´).

Ferner tat sich scheinbar ein Weg zur Erwerbung von Besitzes in Jedlersdorf – heute ein Stadtteil von Wien – auf, weil Hadmar von Kuenring, Marschall von Österreich, 1249 seine dortigen Güter an Bischof Konrad I. verpfänden musste, vielleicht um Truppen für den 6. Kreuzzug aufbieten zu können (6. Kreuzzug 1248-1250?), wobei ihm unter anderen auch sein Bruder Konrad von Kuenring für die Rückzahlung bürgte – 12. Text (fol. 63´).

In das Geschäft waren aber auch die jüdischen Kammergrafen Leublin und Nekelo verwickelt gewesen, die in einem Schiedsgerichtsverfahren vor dem Landrichter Otto von Maissau im Februar 1257 nachweisen konnten, dass Hadmar ihnen 16 Benefizien verpfändet hatte; da der Bischof offensichtlich dieses Geld von Hadmar erhalten hatte, wurden die 16 Benefizien in Jedlersdorf den Kammergrafen zugesprochen – 14. Text (fol. 64-64´).

Diese beiden Texte sind aber auch in einem im Original erhaltenen Zeugnisbrief des Landrichters Heinrich von Hardegg vom 21. März 1267 im Wiener HHStA überliefert und zwar als zwei von drei durch ihn vidimierte Urkunden und nach dem an erster Stelle stehenden, oben erwähnten Pfandbrief Herzog Friedrichs über den Markt Asbach um die besagte Summe von 500 Silbermark, die für die Abfindung Ulrichs von Pillichsdorf als Vogt  in Enzersdorf gedacht war.

Der Landrichter Heinrich von Hardegg bezeichnete sich auf dem von ihm am 21. März 1267 abgehaltenen Gerichtstag in Amstetten als Heinricus comes de Hardeke auditor datus a serenissimo rege Bohemie, duce Austrie et Styrie und vidimierte in Anwesenheit des Rechtsvertreters des Freisinger Bischofs. Denn bereits seit dem 20. Jänner 1253 hatte der böhmische König Ottakar II. Přemysl die Vogtei in Enzersdorf de facto übernommen – 13. Text des Kopialbuchs (fol. 63´-64), was Meichelbeck in seiner Historia Frisingensis  II, von 1728 S. 39f. folgendermaßen kommentierte: Advocatia Enzerstorffensis confertur Ottocaro Duci Austriae.

Es sollte noch weitere neun Jahre dauern, bis es den Pillichsdorfer Ministerialen gelang, mit Hilfe der Landrichter Otto von Maissau und Otto von Haslau einen Vergleich mit Ottakar von Böhmen in seiner Funktion als Vogt von Enzersdorf zu schließen, bei dem die Auszahlung der Restsumme der Entschädigung für den endgültigen Verzicht der Pilichsdorfer auf die Vogtei in Enzerdorf an die Erben Ulrichs von Pillichsdorf erfolgte. Wie schon erwähnt nahm die 200 Pfund Wiener Pfennig der Commendator des Deutschen Ordens in Wien, Otto von Seunz, am 30. September 1262 in Wien zur Verwahrung in Empfang, daraufhin resignierten die Brüder Ulrich, Markwart und Konrad von Pillichsdorf am 2. Oktober 1262 offiziell die Vogtei Enzersdorf, während zuvor die Kanzlei König Ottakars am 21. September in Leipzig beurkundete, dass die landesherrliche Gebühr aus der Vogtei vom Wiener Münzmeister künftig zu beheben sei – Texte 15-17 (fol.64´-65´).

Zwischen der nächsten großen politischen Veränderung, nämlich dem Wechsel des Freisinger Bischofs – notgedrungen möchte man sagen – auf die Seite Königs Rudolfs von Habsburg und der Habsburger, denen Freising die Vogtei im Amt Enzersdorf  anbot, hat sich der Kopist auf die Anfänge des Amtes mit dem Besitz der Donauinseln beim Sachsengang besonnen und  kopierte eine Urkunde, die Insel Kleinwerth betreffend von 1265, ausgestellt in Enzersdorf – 18. Text (fol. 65´-66).

Wie gesagt, der Parteiwechsel zu den Habsburgern ist dem Bistum Freising nicht leicht gefallen. Bischof  Konrad II., ab 1258 der Nachfolger Konrads I., musste diesen Richtungswechsel durchstehen und auch seinem Domkapitel und seiner Kanzlei die politische Wende schmackhaft machen. Denn König Rudolf von Habsburg hatte offenbar die Pillichsdorfer Ministerialenfamilie im Gefolge und begünstigte sie nun. Der 20. Text der Jüngeren Kopialbuch überliefert die Bestätigung der Übernahme der Vogtei in Enzersdorf durch Rudolf vom Mai 1277 und diesem Text folgt eine briefliche Mitteilung des Königs an seinen ihm getreuen Konrad von Pillichsdorf, dem judex provincialis, mit der Bitte betreffend das iudicium provinciale super praedium in Enzersdorf, dass er es nicht wagen solle, im Amt Enzersdorf den Bischof und seinen Richter, den der Bischof dorthin abgeordnet habe, zu behindern oder sich über die Leute im Amt Enzersdorf die richterliche Gewalt anzueignen – 21. Text (fol. 67).

Diese Rechtssicherheit genügte dem Kopisten offensichtlich nicht. Er mag sich an die „gute alte Zeit“ des staufischen Kaisertums erinnert haben, als Urkunden noch mit Herrschermonogrammen einheitlich versehen wurden und brieflichen Mitteilungen nicht so viel im Gebrauch waren. Und auch die Autorität der Freisinger Amtsbücher des Conradus Sacrista (siehe Beitragsbild mit den Medallions der Freisinger Bischöfe am Beginn) aus der Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas könnte präsent gewesen sein, als die bischöfliche Kanzlei von Conradus Sacrista auf einen seither nicht mehr erreichten Höhepunkt geführt wurde und man neben die kopierten Texte üblicherweise noch die Herrschermonogramme setzte, um den Kopien dadurch Autorität zu verleihen.

Und nun kehre ich zu meiner eingangs gestellten Frage zurück, weshalb am Ende des Jüngeren Kopialbuchs noch einmal die Schenkung der aufgelassenen Reichsrechte in den Freisinger Ämtern Enzersdorf, Ollern, Hollenburg  und Ebersdorf durch Friedrich Barbarossa stehen sollte und zwar in einer eben nur kopial überlieferten Form der Bestätigung durch König Rudolf  im zeitlichen Kontext der Übernahme der Vogtei Enzersdorf durch die Habsburger. Vorsichtshalber wurde nämlich neben dem Text eine monumentale, verdächtig wirkende Zeichnung des Monogramms Königs Rudolfs angebracht – in einer Form, die übertrieben wirkt (fol. 68´).

Ich schließe mit einem eher beiläufigen Fazit:

Es ist und war ein Wagnis, in einer offenen und dem politischen Wandel unterliegenden Region eine gemeinsame Identität zu entwickeln und zu bewahren. Das Beispiel des Jüngeren Freisinger Kopialbuchs im Amtsbuch HL Freising 4 zeigt, wie schwer man sich dabei am Ende des 13. Jahrhunderts tat.

Bildhinweis: Bischofsminiaturen zur Handschrift des Conradus Sacrista, BayHStA HL Freising 3c, Freising, 1187 (Titelbild der digitalen Blätterversion des Traditionscodex auf der Bayerischen Landesbibliothek online).

Quelle und Editionen:

Literatur in Auswahl:

  • Thoma, G.,  Bischöflicher Fernbesitz und räumliche Mobilität. Das Beispiel des Bistums Freising (12. bis 14. Jahrhundert), in: ZBLG 62 (1999) 15-40.
  • Dies., Zur Grundherrschaft des Bistums Freising im Hochmittelalter. Organisation und Nutzung der Besitzungen in Bayern und im Ostalpenraum. Ein Vergleich. In: Miladinovic Zalaznik, M., Zach, K. [Hgg.], Querschnitte. „…der wissendlich Romanen für Historien ausgibt”. Deutsch-slowenische Kultur und Geschichte im gemeinsamen Raum (Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks. Reihe B, Wissenschaftliche Arbeiten; 80) München 2001, 21-61.
  • Weltin, M.,  Die Entstehung der freisingischen Herrschaft Groß-Enzersdorf. In: Glaser, H. [Hg.], Hochstift Freising. Beiträge zur Besitzgeschichte (Sammelblatt des Historischen Vereins Freising; 32) München 1990, 271-285.
  • Wild, J., Conradus Sacrista und die Geschichtsschreibung des Bistums Freising im 12. Jahrhundert. In: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 45 (2000) 19-38.

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